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Forschungsprojekt von Juniorprof. Dr. Fabian Stroth

 

 

Die mittelbyzantinischen Templonanlagen Westkleinasiens

 

Templonanlagen waren obligatorisches und wichtigstes liturgisches Mobiliar byzantinischer Sakralbauten. Sie trennten den Altarraum vom Naos und setzten sich in mittelbyzantinischer Zeit aus Pfosten mit angearbeiteten Säulen, Schrankenplatten und darüber abschließenden Balken – dem Templonepistyl – zusammen. Gegenüber anderen Skulpturträgern, wie etwa Schrankenplatten oder Kapitellen, die auch bei dezidiert christlicher Dekoration in Profanarchitektur Verwendung fanden, lassen sich Templonepistylia unmissverständlich einen Kirchenbau zuweisen. Überdies lässt sich der Großteil der Templonbalken Kleinasiens auf den relativ engen Zeitraum des 10./11. Jahrhunderts festlegen. Damit kommt dieser Materialgruppe eine besondere Signifikanz für die Erforschung der mittelalterlichen Sakraltopographie Westkleinasiens zu, deren ansonsten oft ephemeren Hinterlassenschaften zumeist nur schwer fassbar sind. 

Die Materialität der Templonepistylia (qualitätvoller Marmor; längliche Form; nicht-figürliche Ornamentik) besaß besondere Affordanz zur Wiederverwendung in seldschukischen und osmanischen Kontexten, weshalb das Material zahlreich an den Fassaden von Moscheen und Grabbauten sowie als Grabsteine Wiederverwendung fand. Daher eignet sich die Denkmälergruppe der Templonepistylia in besonderer Weise für diachrone und transdisziplinäre Untersuchung der Wirtschaftsräume Kleinasiens im mittelbyzantinischer Zeit auf archäologischer Grundlage. 

Während die Produktion frühbyzantinischer Steinmetzwerkstätten auf eine funktionierende Infrastruktur zurückgreifen konnte, die den Transport von Marmor aus den Steinbrüchen an seine oft weit entfernten Versatz- und Bearbeitungsorte gewährleistete, stellte sich die Situation in mittelbyzantinischer Zeit deutlich anders dar. Das Steinmetzwesen erfuhr eine zunehmend lokale Prägung. Der wirtschaftliche und militärische Druck auf den Großraum Anatolien führte zu einem Mangel an Marmor, der eine fast ausschließliche Verwendung von Spolienmaterial zur Folge hatte. Bislang ist nur selten der Versuch unternommen worden, mittelbyzantinische Skulptur als Ergebnis konkreter Herstellungsprozesse in den Blick zu nehmen. Das führt zu einer Verschiebung des etablierten Bildes von der Organisation mittelalterlicher Steinmetzwerkstätten in Kleinasien, aus der sich eine Reihe spannender Fragen ergibt: In welchem Maß prägte das zur Verfügung stehende Spolienmaterial die Formgebung der mittelbyzantinischen Steinmetzarbeiten? In welcher Abhängigkeit stehen Herstellungsprozess und Ornament? Wie viele Handwerker waren mit der Ausfertigung einer solchen Templonanlage betraut und nach welchen Kriterien erfolgte die Arbeitsteilung? Viele Balken aus wiederverwendetem Material zeigen trotz ihrer qualitätvollen Reliefs Spuren und Beschädigungen einer älteren Nutzung an den Schauseiten, die bei der Umarbeitung nicht kaschiert wurden. 

An einer Reihe von Templonbalken ist die wiederholte Verwendung des Marmormaterials noch so deutlich ablesbar, dass sie sich in ›Objekt-Itinerarien‹ darstellen lässt. Bisweilen wurde das römische Ornament bei der Wiederverwendung antiken Materials bewusst in die byzantinische Dekoration integriert, oder ältere Schmuckformen wurden nachgebildet. Das in mittelbyzantinischer Zeit ›neu‹ hergestellte liturgische Mobiliar hat nach der osmanischen Eroberung häufig eine abermalige Umnutzung erfahren. Während das Gros der antiken und byzantinischen Marmorglieder zu Kalk verbrannt wurde und dadurch verloren ging, eigneten sich die langen Marmorbalken aus den Templonanlagen für vielfältige Wiederverwendungen: sie wurden als Türstürze oder Laibungen in den neu errichteten Moscheen und osmanischen Grabbauten verbaut oder zu Grabsteinen umgearbeitet und in Brunnenanlagen versetzt. Dabei wurden die zumeist mit Kreuzen dekorierten byzantinischen Werkstücke bisweilen mit unterschiedlichem Aufwand umgearbeitet. Wenn man versucht, diese ›Artefakt-Itinerarien‹ nachzuzeichnen, können die Templonbalken als ›materiales Scharnier‹ verstanden werden, das zwischen den unterschiedlichen Kulturepochen Kleinasiens (römisch – byzantinisch – seldschukisch – osmanisch) vermittelt und es erlaubt, einen Epochengrenzen überwindenden kulturwissenschaftlichen Ansatz zu erproben.